Stinkende Nieswurz - der unscheinbare Winterblüher

Text und Bilder von Ernst Hofmann

Bild 1: Stinkende Nieswurz

Bild 2: Blattverwandlung

Bild 3: Blütenhüllblätter mit drei Narben

Unscheinbare Winterblüher - Blattverwandlung von  Laubblättern zu spezialisierten Blütenblätter– zwittrige Blüten, die eine Selbstbestäubung verhindern – Blüten mit Hefe-Heizung für Bestäuber – Lockstoff zur Samenverbreitung

Die Stinkende Nieswurz ist eine immergrüne, giftige Pflanze, die im Mitteland eher selten ist, im Jura findet man sie stellenweise häufig. Die Christrose, eine nahe Verwandte, sieht man dagegen oft in unseren Gärten. Der Name „Stinkende Nieswurz“ leitet sich davon ab, dass die Pflanze beim Anschneiden einen unangenehmen Duft abgibt und die Wurzel früher pulverisiert und Niespulvern beigemischt wurde.

Mitten in der kalten Jahreszeit überrascht und erfreut uns diese unerwartet blühende Pflanze. Betrachtet man die Blattformen der Pflanze von unten nach oben, so machen wir eine sonder-bare Entdeckung. Im unteren Teil des Stängels sind die lederartigen Laubblätter lang gestielt und ihre Blattspreite ist tief fingerförmig geteilt. Bei den höher stehenden Laubblättern wird der Stiel der Blätter kürzer und breiter und die „Finger“ der Blattspreite verschwinden mehr und mehr im Blattstiel. Man spricht hier von Hochblättern. Noch höher und näher bei der eigent-lichen Blüte gehen die Hochblätter in Blütenhüllblätter über, die bei älteren Blüten einen dunkelroten Rand aufweisen. Die Umgestaltung der ursprünglichen Laubblätter geht noch weiter. Im Innern der schutzbietenden Blütenhüllblätter sind tütenförmige Nektarblätter, Staubblätter und Fruchtblätter (= Stempel). Bei den Nektarblättern vermutet man, dass es um-gewandelte Staubblätter sind. Sie befinden sich am Grunde der Blütenblätter und haben eine mehr oder weniger tütenförmige Gestalt. Sie dienen zum Anlocken von Insekten. Am Grunde tragen sie Nektardrüsen, die Zuckersaft produzieren. Die Staubblätter sind die männlichen Fort-pflanzungsorgane, die Fruchtblätter mit den drei Narben die weiblichen.

Die Stinkende Nieswurz ist zwittrig und verhindert eine Selbstbestäubung dadurch, dass sie vorweibliche Blüten entwickelt, d.h. zuerst sind die Stempel bestäubungsfähig und erst danach wird der Pollen der Staubblätter freigesetzt. 

Wo Hefepilz und Zucker aufeinandertreffen, da fängt es bald zu gären an. Bei der Verarbeitung des Zuckers geben die Pilze jede Menge Wärme ab. Forscher fanden nun heraus, dass manche Wildpflanzen Hefepilze als Bio-Heizung nutzen und so an kalten Tagen Insekten anlocken. Dafür wird der zuckerhaltige Blütennektar der Nieswurz von einer Hefekultur besiedelt. Der Pilz bedient sich ganz eigennützig am Nektar bis am Ende der Zuckeranteil fast vollständig aufge-braucht ist. Gleichzeitig erwärmen sich als Nebeneffekt sowohl der Nektar als auch die Umgebungsluft um bis zu 6° Celsius.

Hummelköniginnen mit ihrem dichten Haarpelz können schon bei einer Umgebungstemperatur unter 4° C fliegen und machen bereits zur Winterzeit ihre ersten Ausflüge. Dabei sind die Hum-meln nicht nur auf eine Mahlzeit in Form von Nektar aus, sondern wärmen sich auch gerne bei kälterer Temperatur im Innern einer Blüte auf. 

Durch die frühe Blütezeit fällt die Samenreife in den Spätfrühling oder Frühsommer. In dieser Zeit ist hochwertige Nahrung für Ameisen noch Mangelware, so dass diese gerne auf die Samen der Nieswurz zurückgreifen und diese verbreiten. Um die Samen für Ameisen unwiderstehlich zu machen, werden sie mit einem Ölkörperchen (=Elaiosom) ausgestattet, das neben Ölen auch Zucker und Vitamine enthält. Als Duftlockstoff enthalten die Ölkörperchen außerdem eine Fett-säure. Die Ameisen tragen die Ölkörperchen samt Samen in ihren Bau, trennen dort das Ölkör-perchen vom Samen und schleppen anschliessend den Samen, an dem sie nicht interessiert sind, wieder aus dem Bau. Damit sorgen die Ameisen  für die Samenverbreitung und das Keimen von neuen Pflanzen. Damit schliesst sich der Kreislauf, der vom komplexen Zusammenspiel zwischen Pflanze, Blüte, unterschiedlichsten Tieren und Pilzen lebt.