Flechten - Einzigartige Doppelwesen

Text und Bilder von Ernst Hofmann

Bild 1: Gelbflechte mit Fruchtkörpern

Bild 2: Lindenflechte

Flechten – Einzigartige Doppelwesen

Flechten sind einzigartige Doppelwesen - oft übersehen und kaum bekannt! Sie sind uralte Pioniere unserer Erde und kommen als genügsame Überlebenskünstler praktisch überall vor. Gefragt sind sie als Nahrung für Tiere, in der Medizin, in der Farbstoff- und Parfum-herstellung u.a.m. Daneben sind Flechten Bio-Indikatoren und zeigen die Luftqualität an.

Flechten sind unscheinbar aber allgegenwärtig. Man findet sie in Wüsten, im Hochgebirge, im Wasser, am Äquator bis zu den Polen. Aufgrund ihrer extremen Anpassungsfähigkeit gehören sie zu den Pionieren unserer Erde. Flechten stammen aus der Erdfrühzeit (vor ca. 600 Mio. Jahren) und haben wahrscheinlich vor den Farnen und Samenpflanzen den Schritt vom Wasser ans Fest-land geschafft.  Sie zählen zu den langlebigsten Lebewesen und können mehrere hundert Jahre, im Einzelfall sogar mehrere tausend Jahre alt werden. Allerdings wachsen sie sehr langsam, nur im Millimeter-Bereich pro Jahr. 

Flechten bestehen aus zwei Lebewesen, welche zum gegenseitigem Nutzen eine Lebensgemein-schaft, eine Symbiose, bilden. Ein Pilz bildet hierbei den eigentlichen Flechtenkörper, oft mit einer festeren oberen und unteren Rindenschicht. Zwischen diesen Schichten sind in dem Pilz-gewebe einzellige Grünalgen oder in seltenen Fällen auch Blaualgen (Cyanobakterien) eingela-gert. Diese sind wie die Pflanzen in der Lage, mit Hilfe des Sonnenlichts, Wasser und CO2, Nähr-stoffe aufzubauen (über die Photosynthese) und ernähren damit die gesamte Flechte. Der Pilz wiederum stellt den Algen mit seinem Gewebe einen Wohnort zur Verfügung, welcher diese vor schädlichen Umweltbedingungen wie UV-Strahlung oder Austrocknung schützt.

Die Lebensgemeinschaft besitzt ausserdem besondere Eigenschaften, die nur in der Flechte vor-kommen. So finden Flechten Verwendung als Heilmittel in der Medizin (z. Bsp. Isländisch Moos), als Farbstofflieferant (Herstellung von Lackmus) oder in der Parfumindustrie (Duftstoffe z. Bsp. von Eichenmoos).

Es existieren mehrere Tausend Flechtenarten, die je nach Pilz- und Algenart unterschiedliche Er-scheinungsformen zeigen. Es gibt krustenartige, blattförmige, strauchartige und gallertige Wuchsformen. Ihr Vorkommen hängt stark vom Untergrund (Substrat), der Luftqualität und den klimatischen Faktoren ab. So gibt es Flechten, die nur wohl sind auf der Borke von Laubbäumen (Lindenflechte), an nährstoffreichen Standorten mit viel Stickstoffvorkommen (Gewöhnliche Gelbflechte), bei grosser Luftfeuchtigkeit (Bartflechte) oder geringer Luftverschmutzung (Ge-wöhnliche Blasenflechte).

Flechten besitzen keine Möglichkeit, ihren Wasserhaushalt zu regeln, da sie keine echten Wur-zeln zur aktiven Wasseraufnahme und auch keinen Verdunstungsschutz besitzen. Nur über die Oberfläche des Flechtenkörpers (=Lager oder Thallus) können sie wie ein Schwamm Wasser in relativ kurzer Zeit aufsaugen, entweder in flüssiger Form oder als Wasserdampf. Bei Trocken-heit verlieren sie relativ schnell das für die Aufrechterhaltung des Stoffwechsels nötige Wasser und wechseln in einen inaktiven „leblosen“ Zustand, in dem sie manchmal jahrelang verbleiben können. Wenn wieder Feuchtigkeit vorhanden ist, erwachen sie zu neuem Leben. 

Neben Wasser nehmen Flechten auch Mineralstoffe mehrheitlich aus der Luft auf. Da sie über kein Ausscheidungssystem verfügen, akkumulieren sie dabei Luftschadstoffe (z. Bsp. Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Schwermetalle etc.) und reagieren je nach Flechtenart sehr sensibel darauf. Dementsprechend finden Flechten als "sensible Messgeräte" bei Umweltana-lysen Verwendung. Nimmt die Schadstoffbelastung zu, so zeigen bestimmte Flechtenart sicht-bare Schädigungen an oder es kommt zum Absterben und Verschwinden.

Neben Schwermetallen und Umweltgiften speichern Flechten auch radioaktive Substanzen. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl gelangten große Mengen radioaktiver Isotope nach Finn-land und wurden dort von Rentierflechten aufgenommen. In Rentieren, die sich hauptsächlich von diesen Flechten ernähren, reicherten sie sich weiter an und gelangten schließlich über die Milch der Tiere und den daraus hergestellten Käse als Nahrung in den menschlichen Körper.